Anorexia nervosa, umgangssprachlich auch Magersucht genannt, ist eine schwere Essstörung, bei der die Betroffenen ein stark verzerrtes Körperbild haben. Obwohl sie bereits deutlich untergewichtig sind, empfinden sie sich als zu dick und versuchen, ihr Gewicht weiter zu reduzieren. Diese übertriebene Angst vor Gewichtszunahme führt dazu, dass die Betroffenen ihre Nahrungsaufnahme drastisch einschränken oder sich nach dem Essen erbrechen, um die Nahrung schnell wieder loszuwerden.
Es gibt zwei Hauptformen der Anorexia nervosa: Bei der restriktiven Form nehmen die Betroffenen kaum Nahrung zu sich und treiben oft extrem viel Sport. Bei der zweiten Form, dem sogenannten Binge-Eating/Purging-Typ, kommt es zu wiederkehrenden Heisshungerattacken, bei denen grosse Mengen an Nahrung aufgenommen und anschliessend durch Übergeben oder Abführmittel wieder ausgeschieden werden.
Diese Essstörung ist nicht nur eine psychische Erkrankung, sondern kann auch massive körperliche Folgen haben, da die extrem geringe Nahrungsaufnahme zu schweren Schäden an Organen wie Herzen, Leber und Nieren führen kann. Das Gewicht liegt in der Regel mindestens 15 Prozent unter dem Normalgewicht für die jeweilige Körpergrösse und den Entwicklungsstand. Bei Erwachsenen entspricht dies häufig einem Body-Mass-Index (BMI) von unter 17.5.
Magersucht tritt besonders häufig bei Frauen zwischen 12 und 35 Jahren auf und kann durch äussere Faktoren wie Berufe (z.B. Tänzerinnen, Models) oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl) begünstigt werden. Besonders gefährdet sind auch Personen mit einem hohen Leistungsanspruch und einem starken Kontrollbedürfnis.
Anorexia nervosa äussert sich zunächst in einer intensiven Beschäftigung mit dem eigenen körperlichen Gewicht und der Ernährung, auch wenn die Betroffenen nicht übergewichtig sind. Es entwickelt sich eine zunehmende Fixierung auf die Gewichtskontrolle, wobei sich die Betroffenen trotz sichtbarer Abmagerung weiterhin zu dick fühlen. Häufig wird der eigene Gewichtsverlust heruntergespielt oder gar geleugnet. Auch Warnungen von Freunden oder Verwandten werden ignoriert und jede Gewichtszunahme als persönliches Versagen gewertet.
Menschen mit Anorexie haben oft auffällige Essgewohnheiten: Sie zählen Kalorien, beschäftigen sich intensiv mit Rezepten und bereiten aufwendige Mahlzeiten für andere zu, ohne selbst davon zu essen. Manche horten oder verstecken Lebensmittel oder werfen sie heimlich weg. Ein Teil der Betroffenen neigt auch zu Essanfällen und provoziert anschliessend Erbrechen, nimmt Abführmittel oder entwässernde Medikamente, um das Gewicht weiter zu reduzieren.
Typische körperliche Symptome sind das Ausbleiben der Regelblutung bei Frauen, ein verlangsamter Herzschlag, niedriger Blutdruck und eine niedrige Körpertemperatur. Ausserdem entwickeln die Patienten oft eine feine Körperbehaarung und es kann zu Schwellungen durch Wassereinlagerungen kommen. Häufig treten depressive Verstimmungen auf und es kommt zu hormonellen Veränderungen wie einer Abnahme der Sexualhormone und einer Erhöhung des Cortisolspiegels.
Selbst bei starkem Untergewicht bleiben viele Menschen körperlich aktiv und treiben exzessiv Sport, um den Gewichtsverlust aufrechtzuerhalten. Schwerwiegende Mangelerscheinungen treten meist erst im fortgeschrittenen Stadium auf. Bei anhaltender Unterernährung sind nahezu alle Organsysteme betroffen: Die Knochendichte nimmt ab, das Osteoporoserisiko steigt, die Herzfunktion und der Elektrolythaushalt geraten aus dem Gleichgewicht. Dies kann zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen und Austrocknung führen, die im Extremfall tödlich enden können.
Die Ursachen der Magersucht sind äusserst komplex und lassen sich nicht auf einen einzigen Faktor zurückführen. Vielmehr entsteht die Krankheit durch ein Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und soziokulturellen Einflüssen, die sich gegenseitig verstärken können.
Biologische Faktoren tragen wesentlich zur Entstehung der Magersucht bei. So ist eine gestörte Stressverarbeitung eine mögliche Ursache. Diese kann genetisch bedingt sein oder bereits durch vorgeburtliche Einflüsse und frühe Lebenserfahrungen geprägt werden. Untersuchungen weisen auch auf eine genetische Veranlagung hin, da die Erkrankung in manchen Familien vermehrt auftritt. Charakteristisch ist ein gestörter Botenstoffwechsel im Gehirn, insbesondere ein erhöhter Serotoninspiegel, der das Essverhalten beeinflusst. Serotonin steigert das Sättigungsgefühl und kann so die Nahrungsaufnahme zusätzlich hemmen, was den Verzicht auf Nahrung begünstigt.
Weitere häufige Ursachen sind psychische Faktoren wie der Wunsch nach Kontrolle über den eigenen Körper und das eigene Leben. Viele Magersüchtige streben nach Perfektion und zeigen ein hohes Mass an Disziplin, das sie durch strenge Gewichtskontrolle zum Ausdruck bringen. Häufig handelt es sich dabei um den Versuch, innere Konflikte zu bewältigen oder traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Auch die beginnende Pubertät mit ihren körperlichen und hormonellen Veränderungen stellt einen Risikofaktor dar.
Zudem begünstigt der hohe Leistungsanspruch, der in vielen Familien der Mittel- und Oberschicht vorherrscht, die Entstehung der Erkrankung. Die Erkrankten sind oft sehr intelligent, perfektionistisch und selbstkritisch. Verstärkt werden diese inneren Ansprüche durch gesellschaftliche Ideale, die schlanke Körper als erstrebenswert darstellen. Ein geringes Selbstwertgefühl ist oft charakteristisch und die Kontrolle über das eigene Essverhalten vermittelt zunächst ein Gefühl von Sicherheit und Erfolg, was wiederum das gestörte Verhalten unterstützt.
Soziokulturelle Einflüsse wie das westliche Schönheitsideal, das extrem schlanke Körper als attraktiv darstellt, üben ebenfalls einen grossen Druck aus. Dies führt dazu, dass sich viele Jugendliche, insbesondere Mädchen, mit ihrem Körper unzufrieden fühlen. Durch die ständige Konfrontation mit unnatürlich schlanken Vorbildern entwickeln sie ein verzerrtes Bild davon, wie ein gesunder Körper auszusehen hat. Kritik am eigenen Aussehen, Hänseleien oder negative Bemerkungen über das Gewicht können in diesem Zusammenhang als Auslöser für eine Magersucht wirken.
Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brech-Sucht) sind zwei häufige Essstörungen, die oft miteinander verwechselt werden, da sie einige gemeinsame Merkmale aufweisen, sich aber auch deutlich voneinander unterscheiden. Beide Erkrankungen sind durch eine verzerrte Körperwahrnehmung und ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle über das eigene Essverhalten gekennzeichnet. Patienten empfinden sich oft als zu dick, obwohl sie unter- oder normalgewichtig sind.
Die Anorexie ist durch extremes Untergewicht und striktes Kalorienzählen gekennzeichnet, wobei die Betroffenen hungern, um Gewicht zu verlieren. Bei der Ess-Brech-Sucht hingegen kommt es zu wiederholten Heisshungerattacken, gefolgt von Massnahmen wie Erbrechen oder exzessivem Sport, um die aufgenommenen Kalorien wieder auszugleichen. Während Anorexie häufig zu starkem Untergewicht führt, sind Menschen mit mit Bulimia nervosa in der Regel nicht extrem untergewichtig und können ein normales Gewicht haben.
Die Wirksamkeit der Behandlung der Magersucht hängt stark von der individuellen Anpassung der Therapie ab. Zentrale Elemente der Behandlung sind die Normalisierung des Körpergewichts, die Etablierung eines geregelten Essverhaltens sowie die Behandlung der körperlichen Folgeerkrankungen. Psychotherapeutische Ansätze wie die Verhaltenstherapie oder die systemische Familientherapie helfen den Patienten, ihre Gefühle und Verhaltensmuster zu verstehen und zu steuern. Diese Therapieformen zielen darauf ab, die Symptome der Essstörung sowie eventuell vorhandene seelische Begleitprobleme zu reduzieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Therapie ist die Rückfallprophylaxe. Dabei kann es hilfreich sein, die Angehörigen in den Behandlungsprozess mit einzubeziehen. Darüber hinaus spielt die Ernährungsberatung eine wichtige Rolle, um eine ausgewogene Ernährung zu fördern.
In schweren Fällen, insbesondere bei raschem Gewichtsverlust, starkem Untergewicht oder ausbleibender Zunahme trotz ambulanter Therapie, kann ein stationärer Aufenthalt notwendig werden. Die stationäre Behandlung orientiert sich am aktuellen Gesundheitszustand des Patienten und berücksichtigt sowohl körperliche als auch psychische Aspekte, um eine ganzheitliche Genesung zu fördern.
Magersucht ist eine ernste Erkrankung, die sowohl körperliche als auch psychische Auswirkungen hat. Es ist notwendig, die Betroffenen einfühlsam und verständnisvoll zu begleiten, um eine positive Veränderung zu fördern und ihnen zu helfen, ein gesundes Verhältnis zum Essen und zu ihrem Körper zu entwickeln.